100 Jahre, beeindruckend, präsent, Jung und Alt zusammen Freude bereitend , mit Lust und grossem Durchhaltewillen
Es ist die Zeit unmittelbar nach dem Ende des 1.Weltkrieges mit Millionen von Kriegstoten in Europa, nach dem unseligen Landesstreik und nach einer folgenschwere Grippewelle mit 25‘000 Opfern allein in der Schweiz. Diese Ereignisse hinterliessen in Europa und auch in der Schweiz eine lähmende Stimmung.
In der Rückblende ist es beeindruckend, dass ausgerechnet in jener schweren Zeit – grosse Teile der Bevölkerung waren arm und litten an Hunger – bei einigen musikbegeisterten Männern aus Uesslingen und Umgebung der Wunsch wach wurde, einen Musikverein zu gründen, um zu musizieren und den Mitmenschen Freude zu bereiten.
Es wurden Statuten, welche 37 Paragraphen umfassten, ausgearbeitet und an der Gründungsversammlung vom 15. Januar 1919 von sieben Musikanten einstimmig angenommen.
§1 lautete folgendermassen: Die Musikgesellschaft Uesslingen stellt sich die Aufgabe, die Instrumentalmusik zu pflegen, und nach möglichst vollkommenen Leistungen zu streben. Daneben wird sie auch bei Festlichkeiten und anderen Anlässen das gesellige und musikalische Leben im Allgemeinen zu heben und zu fördern suchen.
Gründer: Edwin Sauter, Oberwyden; Edwin Grob, Feldi; Adolf Hasenfratz, Mittelwyden; Ruedi Anderegg, Horgenbach; Schoch Gottfried, Oberwyden; Julius Müller, Uesslingen; Albert Anderegg, Horgenbach.
In den Anfangsjahren herrschten zur Handhabung der Ordnung im Verein sehr strenge Sitten. So wurde unentschuldigtes Wegbleiben bei den Proben und Versammlungen mit 50 Rp. gebüsst. Für zu spätes Erscheinen mussten 20 Rp. für zu frühes Entfernen 30 Rp. Busse bezahlt werden. Bei besonders wichtigen Anlässen konnte der Vorstand die Bussen sogar verdoppeln.
An der Jahresversammlung 1923 zählte der Verein nur noch sechs Mitglieder. Der Dirigent Edwin Sauter verzichtete daher auf seine Besoldung, worauf ihm die Musikanten grosszügigerweise den Jahresbeitrag erliessen. Dank Neueintritten vergrösserte sich der Verein im nächsten Jahr auf zwölf Mitglieder.
1923 wurde die erste Musikreise mit Ross und Wagen durchgeführt. Reiseziel war der Untersee. Auf dem Hin- sowie auf dem Rückweg wurde des Öfteren in angeschriebenen Häusern eine Pause gemacht. Auch wohnten alte Dienstkameraden und gute Bekannte an der Strecke; denen wurde von den Musikanten ein Ständchen dargebracht. Als Dank holten die damit Geehrten einen guten Tropfen aus ihrem Keller. Dies trug sehr zur Belebung der Stimmung bei, die laut Protokoll einmalig und unübertrefflich gewesen war. Diese Vereinsreisen wurden als fester Bestandteil ins Jahresprogramm aufgenommen und werden auch heute noch alle zwei Jahre durchgeführt. Laut den verschiedenen Reiseberichten ging es bei diesen Ausflügen immer sehr lustig und fröhlich zu. Die Geselligkeit und Kameradschaft wurden ausgiebig gepflegt. Ende der zwanziger Jahre wurde bei einer Reise ins Wäggital der Kraftwerk- und Staumauerbau als grosse Sehenswürdigkeit beschrieben.
Bei einem Vereinsausflug nach Stein am Rhein mit drei Pferdefuhrwerken gab es für etliche Musikanten ein böses Erwachen. Auf dem Heimweg waren dem Fuhrmann des grössten Wagens sowie seinen Pferden die verschiedenen kürzeren und längeren Aufenthalte zwecks Durstlöschung verleidet, und sie fuhren kurzerhand leer nach Hause. So mussten nach Mitternacht mehrere Musikanten den Heimweg von Herdern aus zu Fuss antreten.
Später, 1946, durften erstmals auch die Musikantenfrauen an der Vereinsreise teilnehmen.
Über Jahre hinweg wurde im Sommer ein Gartenfest organisiert. Ebenso fand eine Silvesterfeier in der Kirche unter Mitwirkung der Musikgesellschaft statt. Diesen Konzerten war wechselnder Erfolg beschieden. So liest man 1927 im Protokoll: Bei der Silvesterfeier fiel uns der Karren bisschen auseinander als es in der Königin Garotte in das Coda überging, war der Dirigent etwas eifriger als im genannten Stück sein muss mit dem Taktieren.
Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurden in unserm Dorf und den umliegenden Gemeinden Platzkonzerte dargebracht. An Hochzeitsfeiern von Vereinskameraden wurde aufgespielt und den hohen Geburtstagsjubilaren mit einem Ständchen gratuliert. Man nahm an Musikfesten in der näheren und weiteren Umgebung teil, und die alljährlichen Abendunterhaltungen waren mit wenigen Ausnahmen ein fester Bestandteil des Jahresprogramms.
Da fast alle Mitglieder während des Krieges oft im Militärdienst weilten, fielen die meisten Proben sowie alle andern Aktivitäten aus. Erst im Juli 1945 konnte wieder ein geregeltes Vereinsleben aufgenommen werden. Um die Mitgliederzahl etwas zu erhöhen, wurden von Heinrich Hofmann erstmals Jungmusikanten ausgebildet. So kam langsam der Vorkriegsbetrieb wieder in Schwung. Der auf siebzehn Mitglieder angewachsene Verein musizierte bei Anlässen der Schützen, Turner sowie anderer Vereine. Nicht zu vergessen ist die Begleitung der Kinder jeweils am Weissen Sontag.
Einige Musikanten machten die Anregung, nun endlich Uniformen anzuschaffen. Alle Mitglieder waren begeistert, und dank Bettelbriefen und –anfragen an Behörden und Private war bald eine ansehnliche Summe für diesen Zweck beisammen.
Im Mai 1950 fand die Uniformenweihe statt. 1952 gab Edwin Sauter, Oberwyden, nach 33jähriger Tätigkeit als Dirigent, den Stab in andere Hände. Dem drei Jahre später ausgeschriebenen Jungbläserkurs war ein grosser Erfolg beschieden. 16 Kandidaten meldeten sich, und der Verein bekundete Mühe, genügend geeignete Instrumente zur Verfügung zu stellen. Nach Beendigung des Kurses traten neun Jungbläser dem Verein bei. Nachdem unter Mitwirkung der Musikgesellschaft Uesslingen das neue Schulhaus in Buch eingeweiht worden war, fanden die Unterhaltungsabende in der dortigen neuerstellten Turnhalle statt. Als dann fast 20 Jahre später auch in Uesslingen eine Turnhalle mit Bühne zur Verfügung stand, wurden die Abendunterhaltungen wieder im Dorf abgehalten.
In all den Jahren mussten sich die Dirigenten öfters über schlechten Probebesuch beklagen. Trotz allen guten Vorsätzen standen einige Musikanten weiterhin mit der Pünktlichkeit auf Kriegsfuss. So lesen wir im Protokoll: Beim Platzkonzert in Erzenholz hat es dem Präsidenten ausgehängt, denn um 20.30 Uhr war der Verein immer noch nicht vollzählig.
1969 feierte der Verein, verbunden mit der Fahnenweihe, sein 50jähriges Bestehen. Erstmals wurden in diesem Jahr zwei Jungbläserinnen in den Verein aufgenommen. Als Höhepunkt im Jahresprogramm 1970 ist die erstmalige Teilnahme an einem Kantonalen Musikfest zu verzeichnen, ein Jahr später wurde sogar das Eidgenössische Musikfest in Luzern besucht. Da die Mitgliederzahl stetig anwuchs, wurden 1972 neue Uniformen gekauft und mit einem grossen Dorffest eingeweiht. Von 1952 bis 1975 hatte die Musikgesellschaft mit Werner Schwyn einen ausgezeichneten musikalischen Leiter, der auch ein guter Ausbildner war.
Dank Unterstützung aus der Bevölkerung konnten zwei Jahre später mehrere neue Instrumente angeschafft werden. Bis heute durchlebt die Fahrt des Vereinsschiffes ruhige sowie auch stürmische Zeiten. Die Dirigenten wechselten, und auch im Vorstand gab es immer wieder Änderungen. Aber die kleinen und grösseren Krisen konnten immer wieder gemeistert werden. Dank den Jungbläserkursen konnten die Vereinsreihen sogar noch leicht vergrössert werden. Auch der Zeitaufwand, welcher ein Mitglied aufzuwenden hatte, wurde immer umfangreicher.
So lesen wir im Protokoll, dass 1984 die Musikanten an 84 Proben, 6 Geburtstagsständchen, 4 Platzkonzerten und einer Hochzeitsfeier teilgenommen haben. Da zu dieser Zeit ebenfalls laut Protokoll die Hosenböden der Uniformen glänzten wie Spiegel oder zu Sonnenkollektoren neigten, wurde beschlossen, neue Hosen anzuschaffen. Zum Glück für die sonst schon strapazierte Vereinskasse stellte sich die Bürgergemeinde als Sponsor zur Verfügung. 1987 konnten wiederum neue Instrumente angeschafft werden. Im März des Jahres 1994 konnte der Verein das 75-jährige Jubiläum feiern. Verbunden damit war die Einweihung der neuen Uniform. An diesem Fest wurde das Ehrenmitglied Martin Müller für seine 16-jährige Ausübung der Präsidentschaft zum Ehrenpräsidenten ernannt.
Ab dem Jahre 1970 besuchte die Musikgesellschaft alle Kantonalen Musikfeste, mit wechselndem Erfolg. 1999 am Kantonal Musikfest in Aadorf erreichten sie in der Kategorie Fanfare-mix den 1.Rang in der 3. Stärkeklasse. Noch nie in der Vereinsgeschichte konnte ein solch gutes Resultat erzielt werden.
Vereinshöhepunkte waren in dieser Zeit wunderbare Unterhaltungsshow’s, bei denen die Mitglieder nicht nur mit grossem Fleiss dabei waren, sondern auch ihre schauspielerischen Fähigkeiten zeigen konnten. 2006 wagte der kleine Verein ein zweites Mal die Teilnahme an einem Eidgenössischen. Wiederum durften die Mitglieder ein schönes Resultat nach Hause bringen. Die alle zwei Jahre stattfindenden Musikreisen blieben gesellschaftliche Höhepunkte in der zeitlich immer anforderungsreichen Vereinsmitgliedschaft. Ein kultureller Höhepunkt in Uesslingen sind die jeweils am Muttertagsamstag stattfindenden Kirchenkonzerte. Zusammen mit Schülern und Chören, meistens zusammen mit dem Männerchor Buch wird den Musikliebhaberinnen und –liebhabern zwei Stunden Hochgenuss geboten. Auffallend ist weiter, dass im Verein das weibliche Geschlecht nun mehr als die Hälfte der Aktivmitglieder stellt und auch wichtige Chargen übernimmt. 1999 übernahm mit Erika Maag erstmals eine Frau das Präsidium.
2019 können die Mitglieder der Musikgesellschaft Uesslingen zusammen mit ihren Freunden, Gönnern und der Bevölkerung den ausserordentlichen hundertsten Geburtstag feiern.
Möge die Musikgesellschaft weiterhin mit Jung und Alt zusammen viele Menschen mit ihrem Spiel erfreuen.
Werner Dickenmann
Quellen: Dorfchronik Uesslingen 1094 – 1994;
Protokolle und Chroniken der Musikgesellschaft Uesslingen
Die Präsidenten
Jahr | Name |
1919 – 1925 | Edwin Sauter, Oberwyden |
1925 – 1933 | Julius Müller, Uesslingen |
1933 – 1944 | Fridolin Lenz sen., Uesslingen |
1944 – 1952 | Edwin Sauter, Oberwyden |
1952 – 1954 | Adolf Langhans sen., Dietingen |
1954 – 1959 | Kaspar Baumann, Dietingen |
1959 – 1975 | Martin Müller, Uesslingen |
1975 – 1980 | Hansruedi Keller, Uesslingen |
1980 – 1985 | Meinrad Schlatter, Uesslingen |
1985 – 1990 | Werner Dickenmann, Uesslingen |
1990 – 1994 | Heinz Tanner, Horben |
1994 – 1999 | Peter Illi, Erzenholz |
1999 – 2003 | Erika Maag, Nussbaumen |
2003 – 2016 | Erich Liechti, Uesslingen |
2016 – 2019 | Helen Jindra, Häuslenen |
2019 – | Ursi Rieser, Trüttlikon |
Die Dirigenten
Jahr | Name |
1919 – 1952 | Edwin Sauter, Oberwyden |
1952 – 1975 | Werner Schwyn, Frauenfeld |
1975 – 1978 | Traugott Schär, Winterthur |
1978 – 1982 | Markus Henner, Frauenfeld |
1982 – 1988 | Ueli Anderes, Winterthur |
1988 – 1990 | Max Oppliger, Winterthur |
1990 – 1992 | Reto Camenisch, Schaffhausen |
1992 – 1996 | Andreas Zuber, Märstetten |
1996 – 2000 | Paul Meier, Ettenhausen |
2000 – 2002 | Walter Schild, Eschikofen |
2002 – 2007 | Willy Rodel, Winterthur |
2007 – 2016 | Simon Scheiwiller, Siebnen |
2016 – 2020 | Mirco Capra, Sirnach |
2020 – | Tanja Gall, Frauenfeld |
Die OK-Präsidenten
Jahr | Festanlass | Name |
1950 | Uniformweihe | Otto Müller, Gemeindeammann, Uesslingen |
1969 | 50-Jahr-Jubiläum / Fahnenweihe | Ernst Huber, Buch |
1992 | Kreismusiktag in Uesslingen | Werner Dickenmann, Uesslingen |
1994 | 75-Jahr-Jubiläum / Uniformweihe | Werner Dickenmann, Uesslingen |
2002 | Kreismusiktag in Uesslingen / Fahnenweihe | Erich Liechti, Uesslingen |
2012 | Kreismusiktag in Hüttwilen | Hans-Peter Wägeli, Buch |
2019 | 100-Jahr-Jubiläum | Hans-Peter Wägeli, Buch |